Mittwoch, Mai 31, 2006
Ausgewogenheit
Ausgewogenheit ist eine der wichtigsten Charaktereigenschaften, die ein Mensch besitzen kann. Ausgewogenheit im Handeln, Denken, Ausgewogenheit in politischen und religiösen Ansichten, Ausgewogenheit in Entscheidungsprozessen. Diese treten der Radikalisierung im entscheidenden Maße entgegen. Ausgewogenheit ist nicht mit mangelndem Format zu verwechseln, auch nicht mit einem Weltbild, dass in der Subjektivität die höchste Instanz sieht – Ausgewogenheit ist die Fähigkeit, mit Spannungen leben zu können – und dabei trotzdem Zufriedenheit und Glück empfinden zu können.
Gerade im kirchlich-religiösem Bereich ist Mangel an Ausgewogenheit gefährlich, da er zu fundamentalistischen Standpunkten verleitet und diese durch radikale Konsequenz zum Leben erwecken will. Die Unfähigkeit, mit Spannungen leben zu können, ruft im Menschen ein permanentes Gefühl der Unzufriedenheit und Unzulänglichkeit hervor, was sich dann auf die Art und Weise seines Lebens auswirkt. Die Unfähigkeit, Spannungen auszuhalten, ruft im Menschen ein Gefühl hervor, dass er nie genug getan hat, was einen hohen Grad an Frustration hervorrufen kann.
Gerade unter dem Hintergrund des dualistischen Weltbildes, in dem es das Richtige und das Falsche gibt, fällt es einem fehlerhaftem Individuum schwer, dem Anspruch gerecht zu werden, dem er meint, gerecht werden zu müssen.
Ausgewogenheit schafft es jedoch, die Balance zwischen Anspruch einerseits, und der Möglichkeit einen Fehler zu machen andererseits, zu wahren. Radikale Standpunkte, in religiöse Formeln verhüllt, erwecken den Anschein eines hohen Grades an Spiritualität, Gottesnähe und vor allem Richtigkeit, oft jedoch bleiben fundamentale Verhaltenskodexe des christlichen Weltbildes dabei auf der Strecke. Mangel an Ausgewogenheit verlangt nach dem Richtigen in gleichem Maße wie nach dem Falschen. Theologisch im Recht zu sein, bedeutet dann immer ein Gegenüber zu haben, dass theologisch im Unrecht ist. Die eigene Identität wird durch Abgrenzung und Feindbilder definiert. In diesem Fall ist die christliche Intention verfehlt.
Gerade aus dem Grund der hohen Verantwortung für die Gesellschaft, die Menschen mit christlichem Hintergrund tragen, muss das Element der Ausgewogenheit vorhanden sein. Jesus Christus ist das ultimative Beispiel an Ausgewogenheit. Obwohl seine Botschaft eindeutig (weil relativ einfach) war, schaffte er es das Falsche zu ertragen. Sein erstes Augenmerk fiel auf den Menschen und seine Verlorenheit – erst dann begannen verschobene Weltbilder und fehlerhafte Deutungen eine Rolle zu spielen. Diese Reihenfolge ist heute verschoben.
Ernährungsfragen, politische Weltbilder (in eschatologischem Kontext), Fragen nach unsichtbaren Kräften oder Formdiskussionen können dem Bild Jesu Christi in seiner Schaffenszeit nicht annähernd gerecht werden. Daher stellt sich die entscheidende Frage heute, ob die christliche Bewegung tatsächlich den Vorstellungen Gottes entspricht – oder sie völlig verfehlt. Mangel an Ausgewogenheit zeugt eher von Letzterem.
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2 Kommentare:
Es ist interessant, wie oft „Ausgewogenheit“ in unserem täglichen Leben fast schon unbewusst eine Rolle spielt. Normalerweise kochen wir die Suppe mit nicht zu viel und nicht zu wenig Salz und Gewürzen, der Kaffee sollte nicht zu süß aber auch nicht zu bitter sein, das Hemd oder die Hose nicht zu auffällig aber auch nicht altmodisch, der Urlaub nicht zu teuer und nicht zu billig, usw.
Seltsamerweise schlägt manchmal unser Ausgewogenheitspegel sehr stark aus wenn es um unsere Christlichen Werte und Einstellungen geht- obwohl auch hier gute Balance angesagt wäre. Jesus Christus sollte uns in allem ein Vorbild sein. Zu oft vergessen wir seine Worte „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ (Mt. 7,1.) oder „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“ (Mt. 18.3) und konzentrieren uns lieber darauf wie er die Händler und Verkäufer aus dem Tempel geworfen und ihre Tische und Stände umgestoßen hatte. Manche Christen verstehen das Evangelium eher als ein Strafgesetzbuch denn als die Gute Nachricht! Wie in deinem Artikel erwähnt, war bzw. ist Jesus auch heute in Sachen Ausgewogenheit ´das ultimative Beispiel´! Je schneller er MEIN persönliches Beispiel wird, desto eher werde ich ein glücklicheres und erfüllteres Leben führen.
Pedja
Ausgewogene Mahlzeit
Ausgewogenes Gemüt
Ausgewogener Sport
Ausgewogene Arbeit
und jetzt aufwachen
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