Donnerstag, November 12, 2009

Manchmal ist die Kirche Bundesliga


Robert Enke wurde nur 32 Jahre alt. Irgendwann sah er durch seine schwarze Brille nichts außer Ausweglosigkeit und so beendete er sein junges Leben, indem er vor den Zug sprang. Er hinterläßt eine traurige Frau und ein kleines Adoptivbaby. Die ganze schnelle schrille Fussballwelt bleibt stehen, für einen Moment wenigstens, um zu sehen, was wirklich wichtig ist.

Robert Enke war depressiv. Depression ist keine Schlechte-Stimmung-Phase, der man mit ein bißchen „Reiss-Dich-Zusammen“ begegnen kann. Es ist eine Krankheit, wie Leukämie, MS oder Grippe. Schlimm, aber immerhin behandelbar. In Deutschland soll es an die 4-5 Millionen depressive Menschen geben.

Robert Enke durfte das nie sagen. In einer Männerwelt wie dem Fussball gibt es Dinge, die tabu sind. Homosexualität z.B. Undenkbar. Man stelle sich nur das Outing von z.B. Bastian Schweinsteiger vor, wie er sagt, dass er z.B. in van Bommel verliebt ist. Man stelle sich nur den Torjubel der beiden vor – tiefer Blick in die Augen…naja lassen wir das mal.
Depression, eine Mädchenkrankheit in einer Testosteronwelt, unmöglich zu bekennen. Rober Enke hat Angst. Angst, man würde ihn verachten. Angst, seine Adoptivtochter könnte ihm weggenommen werden, weil der Papa depressiv ist. Angst, nochmal ein Kind zu verlieren – seine kleine Tocher Lara starb vor drei Jahren an einem angeborenen Herzfehler – sie wurde gerade mal 2.

Robert Enke hat so viel Angst, nicht den Anforderungen seines Umfeldes zu entsprechen, dass er lieber geht, als zu bleiben. Robert Enke lebt im Zustand großer Traurigkeit, weil er glaubt, dass die Menschen ihn nie so annehmen werden, wie er wirklich ist. Berechtigte Angst? Verzerrte Wahrnehmung aufgrund der Krankheit? Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit wohl.

Kirche! Kirche ist ein Ort, an dem der Mensch nicht dem unmenschlichen Druck der Mediengesellschaft ausgesetzt ist. Ein Ort, andem er sein kann, wie er ist, ohne dass sein Wert steigt oder sinkt – da er schon als Kind Gottes per Definition unendlich wertvoll ist. Kirche. In der Kirche muss man nicht funktionieren, da kann man sein. Oder? Kirche – ein angstfreier Raum oder doch Kirche, die Angstfabrik?

Was ist, wenn Menschen in der Kirche dem selben Leistungsdruck unterliegen, den wir in der Gesellschaft permanent ertragen müssen? Leistung, zwar in anderer Ausführung, aber doch Leistung, die uns wertvoll mach oder nicht.

Manchmal ist die Kirche wie die Bundesliga. Wir lieben sie. Wir gehen Woche für Woche in den „Tempel“ und mal spielt Bayern München und mal Energie Cottbus – aber wir gehen hin. Es gibt die bedingungslosen Fans, es gibt die gewalttätigen Ultras, die Geniesser, die Ab-und-zu-Fans – manchmal ist Kirche wie die Bundesliga. Und manchmal stirbt jemand, wie Robert Enke, weil er vielleicht krank war, vielleicht nur traurig – aber auf jeden Fall nicht verstanden und gesehen.

Angst ist eine Erfindung von Satan. Eine geniale Erfindung, weil sie so viel bewirken kann, aber sie ist so gottfremd, wie es nur geht. Kirche muss eine angsfreie Zone sein, eine Oase in einer Welt, in der Angst ein Instrument ist, dessen sich so viele bedienen, vom Politiker bis zum Priester. Die Geschichte von Robert Enke wird den einen oder anderen vielleicht sensibel machen. Sie wird uns vielleicht dazu bringen, dass wir vorsichtiger mit unserer Urteilskanone schießen. Sie wird uns vielleicht dazu bringen, dass wir unseren „heiligen Zorn“ zähmen, wenn wir gerade im Wahn unserer Selbstgerechtigkeit entscheiden, an welcher Krankheit jemand leiden darf und an welcher nicht. Vielleicht werden die Menschen verstehen, dass Bekennen keine Schwäche ist, sondern der mutigste Schritt, der von einem Menschen gegangen werden kann. Die Kirchen sollten es dringend.

Denn am Ende ist die Bundesliga nichts, wenn Menschen sterben.

Wenn Gottes Liebe uns ganz erfüllt, können wir dem Tag des Gerichts voller Zuversicht entgegengehen. Denn wir leben in dieser Welt so, wie Christus es getan hat. Wirkliche Liebe ist frei von Angst. Ja, wenn die Liebe uns ganz erfüllt, vertreibt sie sogar die Angst. Wer sich also fürchtet und vor der Strafe zittert, der kennt wirkliche Liebe noch nicht. Wir lieben, weil Gott uns zuerst geliebt hat. Johannesbrief 4




Auszug vom Gedenkgottesdienst – Predigt: Bischöfin Käßmann.

"Hinter Beliebtheit und Erfolg kann es auch abgrundtiefe Einsamkeit und Verzweiflung geben. Leid, Schwäche und Krankheit sind Teil unseres Lebens. Dafür darf es keine Pfiffe geben, sondern Empathie und Mitleid. Wie traurig ist es, nicht über Depressionen sprechen zu können, weil das unserer Gesellschaft als Schwäche angesehen wird. Robert Enke hat nicht gewollt, dass andere ihm in diesen Weg folgen. Er hat das Leben geliebt.“